MAKING II – MIDNIGHT MEMORIES

Ich habe ein Lagerfeuer gemalt, erklärt uns ein Passant, der mit seinen Töchtern in unser „Nachtzelt“ kommt. Dieses Feuer brannte die ganze Nacht, fügt er hinzu. Wir sehen und fühlen es, diese unverfänglichen Worte, die er uns schenkt, sind Teil einer großartigen Erinnerung, die unsere Aktion in ihm wachgerufen hat.

Am 14. April schlagen wir im wahrsten Sinn des Wortes unser Zelt auf, auf einem Parkplatz an der Mellendorfer Hauptverkehrsstraße. Es ist schwarz, innen dunkel, dekoriert mit Stoffen und Sternen, sanft beleuchtet durch Lampions und Lichterketten, möbliert mit vier Stühlen und einem Tisch- 9qm Nacht am helligten Tag.

Die Aufgaben verteilen sich wie von allein. Chiara und Alina kommen auf die letzte Minute, kaum haben sie die Muffins abgestellt, die sie gerade eben noch gebacken haben, koordinieren sie den Zeltaufbau. Greta malt Pfeile, Augen und Sterne mit Straßenkreide in einer Spur von den umliegenden Geschäften zu unserem Setting. Tilla und Marlene richten die Materialbar her, Glanzacryl, Glitzeracryl, Fingerfarben mit Metalleffekt, dicke Aquarellstifte, Wasserfarben, Wachsmaler, Pinsel, Rollen, Spachtel, Leinwände, Papier…….das ist für jeden KUNST. Kristin sitzt mittendrin und malt, in ihrer Ruhe wirkt sie fast skulptural. Sie ist zugleich Akteurin und Dekoration. Mitten im Aufbau springt Chiara aus dem Zelt und ruft mit ihrem Charme einer Passentengruppe zu, mögen Sie Kunst? Wer kann da schon Nein sagen. Und los geht’s.

Wir laden die Menschen ein, Erinnerungen an eine besondere Nacht, einen besonderen Nachthimmel mit uns zu teilen, sie auf einem Malgrund darzustellen. Manche nehmen im Zelt Platz, begeben sich in die Nacht, andere suchen sich eine Stelle auf dem Boden oder nutzen den Bordstein als Sitz. Manche malen im Stehen. Manche Erwachsene haben ewig nicht mehr gemalt, greifen erst mal zu Buntstiften, trauen sich dann aber zuweilen doch an Flüssigfarben und Leinwände. Und oft taucht die Frage nach dem Motiv auf. Es sitzt offensichtlich so tief, dieses was soll ich malen… eine Erinnerung, ein Nachthimmel, das ist doch kein Motiv…. Wir tasten uns ran, sind im Gespräch, assistieren mit Farben und Material, geben Tipps zu Techniken, ermutigen, einfach mal loszulegen, einfach mal machen. Mal versuchen, auch ohne fertiges Bild im Kopf, was so gern als Vorlage gewünscht wird. Vielleicht bilden Kopfbild und Leinwandbild ja eine Symbiose. Für viele Erwachsene ein echtes Wagnis.

Wann immer sie Gelegenheit haben, malen die Gastgeber auch. Sie suchen sich ein Plätzchen und sind durch ihr Wirken stumme Inspiration.

Viele kleine Kinder malen wundervolle Bilder, nicht aus der Erinnerung, sondern aus sich selbst. Aber Nachthimmel sind das schon, und zwar solche, die sie sich wünschen, zu sehen, wenn sie ein bisschen größer sind. Auch Texte finden wir zwischen den Bildern, Worte, die Dankbarkeit ausdrücken oder die Erinnerungen an einen geliebten verstorbenen Menschen festhalten. Wir erkennen, was der NACHTHIMMEL für ein unendlich großer Raum ist. Das zeigen uns unsere Gäste! Ich glaube nicht, dass es uns beim Planungsbrainstorming bewusst war. Mir zumindest nicht.

MIDNIGHT MEMORIES hat Aufmerksamkeit erregt. Bereits der Zeltaufbau, das Ausbreiten vieler weißer Leinwände….Menschen konnten zunächst von der gegenüberliegenden Straßenseite unverfänglich beobachten. Dann kamen sie zu uns, neugierig, gespannt, manche zweimal, weil sie noch ein Kind von zu Hause geholt haben.  Eine entspannte Atmosphäre und ungezwungene Schaffensmöglichkeiten ….dank wunderbarer Gastgeberinnen.

Gegen 15 Uhr wurde es dann ruhig an Mellendorfs Hauptstraße. Inmitten der ganzen Bilder und mit den ganz frischen Eindrücken der letzten fünf Stunden hocken wir im Kreis auf dem Parkplatz und reflektieren.

Es hat richtig Spaß gemacht…die Menschen waren aufgeschlossen…ganz bestimmt haben wir zum Nachdenken angeregt…vielleicht sogar Lust geweckt, mal wieder kreativ zu sein….wann ist unser nächstes MAKING! Nothing to add.

Außer vielleicht eine Frage, die mir am Herzen liegt. Fühlt sich jemand in eine Rolle gedrängt? Mir drängt sich diese Frage auf, weil sich beim Herrichten des Settings, beim Einladen der Passanten, bei all den anfallenden Aufgaben alles so von allein fügt, weil ich mich nie frage, wen ich für bestimmte Dinge fragen sollte.

Nein, sagen mir die Mädels, jede macht das, was sie gut kann und was ihr Spaß macht und trotzdem ist nichts zementiert, ausprobieren ist möglich. Kristin bezeichnet sich selber als die undercoverFrau, ihr ist bewusst, dass den Passanten nicht wirklich klar ist, ob sie zum Team gehört oder gerade mal von der Straße vorbeischaut. Sie ist dabei, auf ihre Weise charismatisch und mit grandiosen Wortbeiträgen. Chiara bezaubert die Passanten mit frisch beherzter Ansprache und führt sie zum „Set“, Tilla und Greta sind „handfest“, sie reichen Farben und assistieren mit Material und Kreativknowhow. Marlene spricht mit den Menschen, sanft und empathisch, sie säht und erntet Gedanken. Alina sorgt dafür, dass nichts verloren geht, sie schreibt UNSER „Protokoll“.

Falls sich jemand fragt, was ich eigentlich tue… ja, dem kann ich nur antworten, gute Frage. Ich fahre den Bus, bestücke ihn bei Kälte mit Decken, rangiere ihn bei Wind, wenn das Zelt festgebunden werden muss und klebe Panzerband auf die Motorhaube, wenn wir eine Präsentationsfläche benötigen. Ich staune und sehe uns wachsen.