27.Feb – 2.März 2018 Ein Gespräch zwischen Kerstin, Wedemark und Susanne über das eigene mediale Beobachten

Susanne: Ich habe deine Einträge gelesen, die ja so eine Art reflexives Tagebuchformat sind, wo du z.B. beschreibst, welche Methoden der Einladung du versucht hast, was ging und was überhaupt nicht lief. Total nützlich für Kolleg_innen in ähnlicher Situation. Wie entscheidest du im Moment, was du von deinem/euren Projekt teilen willst? Was erzählst du z.B. nicht und warum?

KERSTIN: Ja, wie Du schon sagtest, ich verfasse die Blogbeiträge bewußt in einer Tagebuchform, wobei auch „Ergebnisprotokoll“-Anteile zu finden sind. Und das alles mache ich chronologisch, weil ich es übersichtlich finde. Grundsätzlich möchte ich hierbei deskriptiv sein, nicht aber wertend. Ich möchte in meiner Rolle nicht zur Zensur-Instanz werden.

Jetzt erfolgt ein fließender Übergang zum zweiten Teil der Frage. Natürlich gibt es Beiträge, Ideen, Herangehensweisen der Jugendlichen, die mir besser oder schlechter gefallen. Aber es soll nicht um meinen Geschmack gehen. Ich möchte den Spirit (sorry für dieses Wort, mir fällt kein besseres ein) dieser Gruppe junger Menschen verstehen und durchdringen, das wird mir nicht gelingen, wenn ich alles mit (m)einer Wertigkeit belege. Ich schreibe die Texte spontan und ohne groß zu überlegen, dennoch wäre es ja nun vermessen, zu behaupten, ich würde nicht sortieren. Ich kann dass Filterorgan nicht umgehen, da es mein Kopf ist. Natürlich filtert der irgendwie, weil ich Dinge beschreibe, die mir auffallen, die mir imponieren, die ich maßgeblich finde…… und Du siehst schon… ich…ich…mir…mir…ich.

Was ich tatsächlich wissentlich nicht dezidiert beschreibe, ist mein Umgang mit destruktiven Verhaltens- und Herangehensweisen, mit aus meiner Sicht zu „kleinteiligen“ Arbeitsweisen, mit „flachen Ideen“, weil ich es einfach auch nicht gut beschreiben kann, aber auch, um es nicht zu groß werden zu lassen und weil ich sehe, das es in den wenigen dieser Situationen auch mit dem jugendlichen Alter der Teilnehmer zusammenhängt und mit dem Gepräge Schule usw.. Aber ich weiß, dass ich einwirke, dezent, gern so, das keine Manipulation offensichtlich wird. Puh, das hört sich komisch an, vielleicht kann ich es konstruktives, wertschätzendes Lenken in sehr dezenter Form nennen, und das auch nur dann, wenn ich das Gefühl habe, die Stimmung kippt und die Gruppe beginnt sich unwohl zu fühlen, weil auch andere das dann gerade so wie ich empfinden. Es gibt kein Rezept, es ist wie Backen ohne Rezept, mit dem was da ist. Intuitiv, manchmal wird es ein Superkuchen, manchmal nicht.

So und zum Schluß noch ganz wichtig und dazugehörig, ich schreibe in der Regel dann, wenn ein Teilprozess abgeschlossen ist. Also Deine Gesamtfragestellung inkludiert für mich auch, WANN ich etwas schreibe. Aktuell sind wir seit drei Tagen im konstanten whats app-Austausch, wie wir mit unserer geplanten Making-Aktion am Samstag verfahren (aufgrund der Wetterlage). Es geht um Alternativen, evtl. einen „LightPLAN“ ganz spontan zu entwickeln. Der Prozess ist im Gang und ziemlich interessant.

Susanne: ‚ich…ich…mir…mir…ich …’ So schön formuliert,  es geht eben um ein ganz subjektives menschliches Miteinander, wo du, genauso wie du bist und in der Rolle, die du hast, Resonanz auslöst oder auch nicht. Diese Idee, man könne ganz ohne Einfluss irgendwo dabei sein, dass geht ja gar nicht und ist, glaube ich, bei der Idee oder Vorhaben von Teilhabe/Teilnahme auch nicht wirklich von Vorteil. Geht es nicht viel mehr darum, ganz klar in seiner Positionierung zu sein, einfach Dinge transparent zu machen und damit natürlich auch selber beweglich zu sein? D.h. bei neuen Erkenntnissen zu sagen: Klar, ihr habt recht, und ich muss entsprechend das anders sehen oder tun… Und auch zu benennen wo man vielleicht qua Alter, Rolle, Erfahrung, Standing, … Vorteile oder auch Verantwortlichkeiten erlebt? Genauso kann man aber ja jede andere Position mit Qualitäten belegen: auch Jugendliche/R zu sein hat Machtelemente, Wissen, Kraft und Verantwortlichkeiten undundund…

Das WANN: Kenne und verstehe ich sehr gut, ich habe gemerkt, wie ich das ganz ähnlich tue, es gibt so einen Moment, da ist es dann ‚reif’ genug, um rausgesetzt zu werden.

KERSTIN: Du triffst mit Deinem Kommentar den Punkt. Genau darum geht es ….Ein konkretes Beispiel dafür war die Frage nach etwaiger Form der Bewerbung. Wir entschieden gemeinsam gegen Plakate und Zeitung. Weil hier einfach die Gefahr zu groß wird, uns nicht von Mitmach-Aktionen der Kunstschule abgrenzen zu können und der Eindruck entstehen könnte, Kinder können etwas malen und es dann mitnehmen. Dann habe ich es aber doch bei Instagram bekannt gegeben, gut, da ist unser „Einzugsbereich“ ja noch überschaubar, aber das Bewusstsein, dass das in gleicher Weise Werbung ist, fehlte mir in meiner Euphorie, einen Instagram-Account zu haben. Ich war den Jugendlichen sehr dankbar für ihre Kritik an meiner Inkonsequenz, die mir erst da bewusst wurde. Es wurde dann gemeinsam entschieden, das es erst mal so stehen bleiben kann. Es gibt Wissensvorsprünge, bei manchen Dingen bei mir, bei anderen bei den Jugendlichen, wir nutzen sie nicht aus, um Positionen zu definieren, sondern nutzen sie bestmöglich, um voran zu kommen.

Susanne: An wen denkst du im Moment, wenn du etwas öffentlich machst? Wer ist dein geistiger Ansprechpartner_in oder Leser­_in?

KERSTIN: Tatsächlich denke ich nicht im www-Modus. Ich bewege mich derzeit im Mikrokosmos, was man an der Sprachform sieht. Zunächst und gar nicht so unerheblich, schreibe ich mir selbst, nicht zur Selbstdarstellung, sondern um direkt festzuhalten, was war. Momente gehen in der Erinnerung schnell verloren und mit der „Verpflichtung“ durch die Beiträge wird dem vorgebeugt. Da ist es dann tatsächlich ein Tagebuch. Nun bräuchte ich dafür nicht das Netz, aber mal ehrlich, würde ich es sonst in dieser Weise tun? Nein, würde ich nicht, zumal ich ja ohnehin knapp mit Stunden bin und dieses Projekt Potential für eine Halbtagsstelle hätte.

Weiter ist es sehr vom Thema abhängig. Als ich über die Akquirierungsphase berichtete, hatte ich schon die anderen Kunstschulen im Sinn, von denen ich erinnerte, das sie in ähnlicher Form eine Gruppe zusammenstellen wollen. Und es kommt nicht darauf an, was die Zielgröße der Gruppe ist. Wobei mir aber auch immer klar war, das eine Vorgehensweise bei einem Publikum gut funktioniert, bei einem anderen schlecht, das vor allem wichtig ist, das der „Vortragende“ es auf sich zugeschnitten hat, um es mit der nötigen Begeisterung transportieren zu können. Ich habe es als Anregung oder Berichterstattung für die anderen Kunstschulen aufgefasst.

Und mein dritter Ansprechpartner ist tatsächlich im Moment die Elternschaft. Ein Elternbrief mit Verweis auf die Internetseite hat mir langatmige Erklärungen erspart und interessierte Eltern können verfolgen, was ihre Kinder so tun. Allerdings weiß ich nicht, ob dieses Angebot genutzt wird. Ich werde das irgendwann mal abfragen.

Und perspektivisch, wenn wir Raummodelle bauen, werde ich Gemeinden, Kommunen und Städte im Sinn haben, die Partizipation im Rahmen der Lebensraumgestaltung mit Jugendlichen praktizieren. Ein derartiges Projekt hatten wir letztes Jahr und als ich begonnen habe, war ich bei der Recherche am Verzweifeln. Ohne Ende Literatur zu Methoden und „profilierenden Ergebnissen“, immer das WAS, aber bezüglich des WIE´s bin ich nur spärlich fündig geworden. Wenn wir so weit sind, ändern sich meine Ansprechpartner_innen und damit auch meine Art, zu schreiben.

Susanne: Das ist ein so interessantes Reflektieren der Adressat_innen, liebe Kerstin. Vom Ich zum WIR, vom eigenen, reflektierenden Erzählen (Was und WIE mache ich es eigentlich) zu: Wie teile ich dieses Knowhow aus meinen Erfahrungen mit Kolleg_innen, aber dann auch weiter: Wie informiere ich inhaltlich die Eltern so wie politischen Instanzen, für die das relevant sein könnte?

Nun interessieren mich die Stimmen deiner teilnehmenden Jugendlichen. Du hast bereits geschrieben, die schauen sich auch an, was du online tust und geben dir Feedback darauf, siehe Instagram. Siehst du die Jugendlichen, genau wie du auch, diesen Prozess aus ihrer Sicht auf diesem Blog erzählen? Und wenn ja, gibt es da für dich Bedingungen (oder innere Vorbehalte)? D.h. dein Reflektieren, was du wann und wem erzählst, hat etwas mit deiner professionellen Erfahrung zu tun, dass Jugendliche noch nicht haben mögen. D.h. würdest du dich als Zwischeninstanz einschalten zwischen jugendlicher Stimme und öffentlicher Plattform oder gäbe es eine Bewusstseins- oder Lern-Session zum Gebrauch des Blogs?

KERSTIN: Ist da der Konjunktiv zwischen den Zeilen deiner Frage? Also: Kann ich mir vorstellen, die Jugendlichen aus ihrer Sicht schreiben zu lassen? Ja, das kann ich. Allerdings kommt die Frage etwas zu früh. Es gibt im internen Bereich ein Video von Marlene, wie sie das Projekt und ihre Motivation schildert. Es ist spontan aufgenommen. Ich habe in die Gruppe geschrieben, ob jemand kurz Zeit hat, sich mit mir vorm Supermarkt zu treffen und kurz seine Sichtweise zu schildern. Ich wollte explizit eine „un-einstudierte“ Meinung einfangen. Marlene kam und hat ohne „Intro“ meine Fragen, die ebenso spontan und aus dem Bauch kamen, beantwortet. Genauso habe ich es dann in den Blog gepackt, zunächst intern, da ich zu der Zeit noch keine Freigabe von den Eltern hatte. Und natürlich mit Marlenes Einverständnis.

Inwiefern die Jugendlichen auch den Blog im Visier haben, kann ich im Moment nicht beantworten. Vielleicht können wir in ein paar Wochen nochmal auf diese Frage zurückkommen, dann kann ich das thematisieren und mir ein besseres Bild machen.

Zum zweiten Teil der Frage, JA ich würde mich schon dazwischenschalten, nicht als Zensurinstanz, sondern vielleicht eher als Schutzinstanz. Mit dem Unwissen, wer eventuell Beträge der Jugendlichen lesen könnte, würde ich darauf achten, das da nichts raus geht, was ihnen in Zukunft, z.B. bei Bewerbungen, etc. im Wege stehen könnte. Was das genau sein könnte, kann ich nicht absehen, oh so viel Konjunktiv.

Eine „Gebrauchsanweisung“ würde ich zunächst nicht liefern, damit würde ich mir wohl selber die Chance nehmen, herauszufinden, was Wahrhaftig und echt ist. Vermutlich wäre es sogar clever, zunächst mal gar nichts vom ‚world wide’ zu sagen, ich kann nicht abschätzen, ob das eine einengende Wirkung hat und vielleicht eine Profilierung unterstützt.

Susanne: Der Konjunktiv: Für mich zielt die Frage weniger auf Notsituationen oder ‚Toughness’ ab, sondern eher auf ein eigenes Abtasten, wie weit Partizipation geht und wo möglicherweise Kollaboration anfängt. Der entscheidende Unterschied für mich ist die geteilte Macht, Aufgabe von (Teil-) Kontrolle und aber auch Verantwortung. Relative Augenhöhe. Und das hängt von vielen Faktoren ab: Will man überhaupt Kollaboration oder ist ein partizipatives Angebot für den Rahmen genau richtig, d.h. die Spielregeln sind von dir gesetzt und die sind das Geländer?

Kollaborationen mit Jugendlichen in Kunstprojekten kenne ich als ganz lange Prozesse, wo es viel darum geht, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und erst mal ein bestimmtes Wissen gemeinsam zu erarbeiten. Das reicht von: wie mache ich eine Abrechnung, wie leite ich so einen Prozess, was sind meine Aufgaben als „Host“, wie spreche ich mit xy, ….

Und dahin zielte ein bisschen meine Konjunktivfrage: Wo siehst du euer Projekt idealerweise in dem Schwarz-Weiss von Partizipation bis Kollaboration hingehen? Selbstermächtigung oder Empowerment kann ja da vieles sein. Und wie gesagt: Meist bestimmt sich das von den realen Gegebenheiten, d.h. den konkreten Menschen, die sich da einfinden und deren konkrete Anliegen und aber auch Potentiale. Und von Rahmenbedingungen wie Zeit, Wo/manpower, Finanzen, ….

In der medialen Beobachtung sieht man spätestens die „Macht- und Rollenverteilung“: Wer spricht hier, wessen Beiträge werden von wem lektoriert, wer hat Zugang zum Account, etc… Wie transparent redet ihr darüber oder macht Vereinbarungen? Oder stellst du die Spielregeln vor, die du dir überlegt hast? Könnte man die verändern? Oft ist ja auch real, dass dann niemand überhaupt diese Art von Beteiligung will oder annimmt: Es wird dann nichts gepostet oder kommentiert. Es bleibt still.

So, meine Antwort ist ganz lang geworden. Fazit: Es war/ist eine Visionsfrage, die man aber auch zurückstellen kann, um das Reale zu beobachten.

Ich würde vorschlagen, wir machen an dieser Stelle eine Fragepause? Es ist super spannend und mir macht das viel Spaß, ich könnte so ewig weitermachen, aber wir haben auch ausgemacht, dass es zeitlich gegrenzt ist. Ich danke dir, liebe Kerstin!