NEW IDENTITY_ was wäre, wenn ich jemand ganz anderes wäre? 

NEW IDENTITY_ was wäre, wenn ich jemand ganz anderes wäre? 
Eine künstlerische Reise in ein fremdes ICH
Erster Besuch in Hannover, 23.08.2019, bei Anette Klecha und Elke Lückener
Ort: Küche von Anette Klecha

Eine spannende Anreise. Es ist Freitag, es ist heiß und die Innenstadt von Hannover steht still (verkehrstechnisch), da die Fridays for Future Demo durch die Straßen zieht. Ich bin spät dran zu Anette diesmal an einem ganz anderen Ort in Hannover, in Linden. Ich bin innerlich über die immer wieder ambivalenten Momente im Leben amüsiert, dass heute eine Demo zu Klima und Alltagsverhalten mich dazu zwingt, anstatt dem Bus ein Taxi zu nehmen.

Anette hat einen verbundenen Arm, wir sitzen deshalb heute zu dritt mit Tee, Obst und Keksen in ihrer Küche und haben ziemlich exakt 2 Stunden Zeit für dieses Gespräch.

Anette und Elke arbeiten seit 20 Jahren immer wieder zusammen in Projekten zusammen. Als Philosophin und bildende Künstlerin ergänzen sie sich. Da sie viel Prozesserfahrung miteinander haben, wissen sie um ihre Stärken; beide mögen Schreiben, Planen und Strukturieren. Beide verstehen, dass trotz der genauen Planung am Ende nichts fest sein darf, sondern flüssig situationsbedingt anders sein muss/darf. Nach soviel Erfahrung miteinander wissen sie beide, was sie vom Team brauchen (gegenseitige Rückversicherung, Reflexion, Wahrnehmung austauschen) sowie Klarheit in administrativen Rollen und eine schnelle, zeitnahe Kommunikation. Das sich gegenseitige Wertschätzen und die Lust des miteinander Tuns sind die emotionale Basis der Zusammenarbeit. Sie erleben beide dieses gemeinsame Projekt und das Thema Identität als Highlight.

Es ist zeitlich ein perfekter Moment im Projekt für solch ein Gespräch: In genau sieben Tagen geht es los, und die zwei Initiatorinnen sind fortgeschritten in ihren Gedanken und Planungen. Vor den Sommerferien hatten sie intensiv geplant, um es dann noch einmal nach dem Ruhenlassen zu verfeinern. Neue Klärungen finden aktuell statt, von dem vielen, was man in zu wenig Zeit will, wird der Fokus auf Hauptstränge geschärft und so stellt sich Dichte durch Beschränkung ein. 

 

Ich bin mit initialen Fragen angereist, siehe unten*, die aber immer für mich als grobes Gerüst für ein solches Gespräch dienen. 

 

Es gibt zwar kein vorab definiertes Ziel oder Endprodukt für dieses Kunstprojekt, so sprechen wir zunächst über die Vision dieses Projektes,  darüber, was für die beiden das Tollste wäre.

AUDIO 1 Vision, 3.30 min

 

Über die Vision geben mir die zwei einen Einblick in ihre Vorgehensweise in der Begegnung mit den jungen Menschen kommende Woche. Es geht um Identität und die Zugänge dazu sind vieldimensional. Durch die beschränkte Zeit gibt es zwischen den beiden eine intensive Klärung und Auseinandersetzung, wie sie Identität eigentlich ansprechen und einführen wollen. Die kommende Woche wird die erste Einladung ins Thema für die jungen Teilnehmenden.

 

Wir sprechen über Menschen, die in der Lücke der Demokratie leben, d.h. formell nicht existieren, persönlich aber schon. Mit formell meinen sie Menschen, die z.B. durch Flucht, Vertreibung, Krieg etc. ihre Papiere verloren haben. Was steht in diesen Papieren, welches Wissen, welche Info wird da eigentlich Preis gegeben? Geschlecht, Sprache, Augenfarbe sowie Alter, etc. sind Informationen, die man abfragen kann. Was hat das mit einer Identität zu tun und in welchen Situationen sind diese relevant? Wenn ich auf ein Blinddate gehe? Oder mich für eine Krankenkasse bewerbe?

 

Auch geht es um einen persönlichen Ansatz, zu dem künstlerisch eingeladen wird. Was sagt das eine, künstlerisch-subjekte Selbstbild über die Person, was das andere, öffentliche Datendokument mit vielen faktischen Details ? Gehen die 2 Bilder in einer Person zusammen?

 

Geplant ist sofort danach ein Einstieg in Identitätenbildung durch ein Kartenspiel, die bestimmte Charaktere per Würfel, somit Zufall, formt.

Wer kommt zu diesem Projekt, frage ich. Kennt ihr die Teilnehmenden? Das Fazit des letzten Jahres war, dass handverlesene, bereits bekannte Personen teilnahmen.

Auch diesmal hat Elke über ihre Kurse eingeladen. Anette ebenfalls. Sie rechnen mit mindestens fünf Teilnehmenden kommende Woche. Mehrheitlich Frauen, wie auch schon im vergangenen Projekt. Warum sind es die Frauen, die sich die Zeit nehmen für solche Auseinandersetzungen? Anette findet es eine bekannte Beobachtung, dass im Sozialen und in der Kunst mehrheitlich Frauen zu finden sind. In dem Moment, wo ein Feld „eher weiblich“ besetzt wird, bleiben die Jungen tendenziell weg. Es sind allerdings auch mehrere Jungen interessiert, die die Freiheit des Projektes positiv angesprochen hat. Für diejenigen Jugendlichen, die die Arbeitsweise der Kunstschule nicht kennen, ist der freiheitliche Ansatz fremd und nicht vorstellbar. Die anderen wissen, um welche Prozesse es sich hier handelt. 

 

Wir kommen so auf die Rolle der Gastgebenden in der Spannung zwischen Einladung, Offenheit, aber auch Angeboten mit Vorgaben und Struktur. Elke und Anette berichten von ihrer Herangehensweise und Erfahrung. 

AUDIO 2 Struktur, 1.20 min

 

Aufschlussreich ist die Erfahrung beider, wann Erwachsene durch Angebote den Prozeß befeuern oder bremsen. So machen bequeme Infrastrukturen unfrei, bei gleichzeitigem Bedarf nach Struktur. Den Rahmen neu zu erschaffen ist möglich für junge Menschen, wenn sie selbstständig  werden und es für sie existentiell wird. Existentiell und selbstorganisiert sind gerade die Klimaproteste Fridays for Future.

AUDIO 3 Wie viel Rahmen brauchen Jugendliche?, 4 min

 

Wir kommen zurück auf das Identitätsthema als  ein existentielles und auf die Tatsache, dass es per se ein Pubertätsthema ist. Kulturelle Herkunft ist laut Elke spätestens seit 9/11 ein Thema. Ich sehe ausländisch aus, es fühlt sich anders an als vorher im öffentlichen Raum, das sind typische Sätze. Auch Genderfluidität, die Frage nach Geschlechtlichkeit stellt ebenfalls ganz neue Fragen speziell an die Generation. Diskutieren tun sie das schon länger, nun gibt es durch so ein Projekt die Chance etwas damit zu machen. (Vorab hat Elke ein Projekt zum Thema Beheimatung gemacht (Jahr TITEL).)

Das generationKUNST Modellprogramm bietet die Chance, mit einem Thema einmal mehr in die Tiefe zu gehen, ein wichtiges Vorgängerprojekt/-thema genauer zu beleuchten. 

 

Beide erzählen von ihren Herausforderungen in dem kommenden Setting. Für Elke existiert der Anspruch, mit jeder Person und jedem Prozess als künstlerische Begleitung mitzugehen. Und diesmal, anders als vorher, ohne ein vordefinierte Auseinandersetzung mit Material oder einen Objekt. Sie assoziiert damit ein freies Schwimmen.

AUDIO 6 Elkes Anspruch zu reagieren 40 sec

 

Anette denkt an die Involvierten 2. Ordnung, die von außen dazu kommen. Sie empfindet das anders als Elke als einen sehr geschützten Raum, als Freiheit, da verhandelbar. Beide sind sich sehr der Qualitäten dieser Raumes.

 

AUDIO 7 Freiheit oder freier Fall? 1.40 min

 

Anette sieht große intime Prozesse, die da für einzelnen passieren können, die nicht für die Augen anderer bestimmt sind. Diese Phänomene sorgen Elke weniger.

AUDIO 8   Anettes Herausforderung 40 sec

 

Wir fragen uns, wie anders sie diesen Prozessen planen würden, wenn es kein Limit an Finanzen und somit Zeit gäbe. Elke hätte dieses Thema gerne anders verhandelt, da es inhaltlich soviel hergibt. Länger miteinander Zeit zu haben, erlaubt Themen zu entwickeln und anders an die Oberfläche zu kommen. Themen könnten langsamer wachsen und räsonieren. Elke hält das für eigentlich angemessen für Jugendliche, aber diese Formate gibt es heutzutage fast nicht mehr (aufgrund von Ganztagsschulen etc). Elke beschreibt, wie es zu einer echten Teilhabe kommen könnte.

AUDIO 10 Freier Fluss durch Geld und Zeit.mp3, 1.55 min

AUDIO 11   Von Werkstattsituation zu echter Teilhabe 1.20 min

 

Anette und Elke beschreiben im Detail, wie sie diesen Prozess anders gestalten würden, wäre mehr Zeit da. Wenn Geld da wäre, gäbe es diese Zeit.

AUDIO 12 Prozess mit Zeit, 4.15 min

 

Ein Hauptmoment ist die Wahrnehmung, dass man mit einem nicht vorgegebenen inhaltlichen Zeitplan wirklich reagieren kann auch alles was kommt. Es bedeutet eine penible Vorbereitung und ein Sichkundigmachen, um auf das, was kommt, adäquat zu reagieren.

generationKUNST als verstetigtes Modell und Prozess würde es möglich machen, dass die Teilnehmenden schlußendlich selber auf ihr Thema kommen. Ein Anfangsimpuls wird gegeben, aber dann geht es entlang der Resonanz weiter.

 

 

*Fragen und Inhalte, über die ich gerne mit euch sprechen würde: 

  1. Inhalt: Wie hat sich der Inhalt bisher von der ursprünglichen Idee weiter entwickelt?
  2. Form: Wie hat sich die Form des Projektes bisher entwickelt?
  3. Vorbereitungsphase: Hattet ihr bisher genug Zeit, dass Projekt vorzubereiten? Wo waren Herausforderungen, wo lief es fließend oder sogar viel besser als erwartet? Ihr arbeitet als Team in dem 2. gK zusammen. Was ist bisher in der Vorbereitungsphase anders  als 2017-18 verlaufen?
  4. Erwartungen: Welche Erwartungen habt ihr an dieses Projektes? Was wäre das größte Glück, dass ihr erleben könntet?
  5. Wo habt ihr im Bezug auf das Projekte Ängste, wo ahnt ihr für euch Herausforderungen?
  6. Ressource Geld und Zeit: Habt ihr das Gefühl, euer Vorhaben ist in dem Rahmen, den die Ressourcen Geld und Zeit bieten, realistisch geplant?
  7. Team: Wie beschreibt ihr bisher eure gemeinsame Arbeit? Habt ihr klare Rollen und Aufgaben? Seid ihr beide auf Augenhöhe, sowohl was Verantwortung, Kompetenzen, Zeit als auch Finanzen angeht? Werden Entscheidungen gemeinsam getroffen oder habt ihr eine Art Hierarchie? Wie viele seid ihr insgesamt, die an diesem Projekt mitarbeiten?
  8. Weiter: Wenn ihr die Begriffe der Überschrift unseres Forschungsprojektes anschaut, welche Begriffe räsonieren mit eurem Vorhaben und Ansatz?

Könnt ihr erzählen, wie diese mit eurem Vorhaben zusammengehen?

Kunstschulen* 

gestalten** 

das WIR***!

               Freiraum 

               ** denken, forschen, handeln 

              *** für-/mit-einander 

  1.   Identitätenist ein im Moment mehr denn je ein hochpolitisches Thema. Welcher politische Diskurs ist euch nah, woraus speist ihr eure inhaltlichen Überlegungen?