Oldenburg – Stadt-Unter und „Künstler*innen müssen im selben Maßstab erschaffen, wie die Gesellschaft die Fähigkeit besitzt, zu zerstören“

Das Klima ist im Moment mehr denn je ein Thema. Es ist angekommen in der Mitte der Gesellschaft, denn es ist erlebbar, körperlich, sozial und politisch. Das Klima ist ein komplexes, sensibles System und unsere Eingriffe zeigen Auswirkungen.

Während ich mit Franz John über das Projekte „5mNN – Fünf Meter über Normalnull“ in Oldenburg telefoniere, sitze ich in Venedig und schaue mir die Biennale an. Das Thema 2019 lautet „May you live in interesting times / Mögest du in interessanten Zeiten leben“.0

Ich lebe klimatechnisch in interessanten Zeiten. Seit diesem Jahr bin ich flugfrei unterwegs. Ich stand im Sommer in Salamanca/Spanien wegen Unterflutung der Zugtrassen fest und nun in Venedig regnet es und die Stadt steht immer wieder stundenlang unter Wasser.

Warum sinkt Venedig eigentlich und wie sinkt Venedig? Es sinkt langsam; auch modert und verfällt es langsam vor sich hin. Die ehemals intelligenten Bauweisen, die es ermöglichten, auf dem Wasser zu leben, funktionieren nicht mehr, seit es über 100 cm Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasserständen gibt und so das Wasser über die abweisenden Schichten der Häuser in die Wände eindringt. Viele der Erdgeschoss Räume stehen schlichtweg leer, sind unbewohnbar und ständig von Überflutung bedroht.

Venedig sinkt, weil die Stadt schwer ist und der Schlamm weich, weil die großen Schiffe so tiefe Trassen in die Lagune gefurcht haben, dass alles durcheinander kam, weil die Motoren dermaßen vibrieren, dass der Putz aus den Fugen fällt, weil so eine Lagune weder Millionen Tourist*innen noch riesige Passagierschiffe verträgt. So ist man dann in Gummistiefeln unterwegs und geht im Alltag mit diesem Stadt-Unter-Phänomen um. Als Tourist*in mag das ja interessant sein, aber wie lebt es sich ein Alltag in diesem Fluss von Wasser ins Haus/Kirche/Laden/Büro/Restaurant/Lager/…, in die Wände, diese feuchte salzige Masse, die unaufhörlich weiter eindringt?

Wenige künstlerische Arbeiten vor Ort gehen auf die Klimasituation direkt ein, aber es gibt eine klimakritische Ausstellung, „Mare Nostrum / Unser Meer“.1 Die Ausstellung ist inspiriert von dem Satz der kalifornischen Umweltkünstlerin Lauren Bon2: „Artists Need to Create on the Same Scale that Society has the Capacity to Destroy / Künstler*innen müssen im selben Maßstab erschaffen, wie die Gesellschaft die Fähigkeit besitzt, zu zerstören“. Die Ausstellung widmet sich zusammen mit den Begleitveranstaltungen „1001 Stories for Survival“3 schwerpunktmäßig der Umweltkrise im Zeitalter des Klimawandels am Mittelmeer.

Der Künstler Franz John, Artist in Residency in Oldenburg, beschäftigt sich zusammen mit Darleen Evers, Sophie Perenthaler, Alina Wintermann, Katja Brummer und Sebastian Neubert mit den Klimaauswirkungen und damit dem Wasser in Oldenburg. „In 50 Jahren wird uns das Wasser bis zum Kopf stehen. Das ist nach Überzeugung von Franz John keine Metapher, sondern schlichtweg Realität. Aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels rücke die Nordseeküste immer näher an Oldenburg, sagt der Künstler.“4

Der Künstler arbeitet mit Bürgerinnen und Bürgern zusammen, um Ideen zum Wandel von Klima und Stadt zu entwickeln. Schauplatz dafür ist das Stadtatelier in den Schlosshöfen. Da Oldenburg nur geringfügig über dem Meeresspiegel liegt, werden Häuser und Teile des Areals überflutet werden. Manchen Oldenburger*innen kennen diese Situation bereits von der Sturmflut im Jahre 1962. Die Versalzung von Obstwiesen durch Anstieg des Grundwasserspiegels ist nördlich Oldenburgs bereits der Fall. Die übliche Landwirtschaft wird zunehmend spürbar beeinträchtig.

 

Die Arbeitsgruppe im Stadtatelier in den Schlosshöfen arbeitet an Zukunftsperspektiven: Menschen kommen und teilen u.a. ihre Sorge um ihre Häuser mit. Was gibt es da für Ansätze aus der Kunst heraus? Die Gruppe hat Zeichnungen gemacht und Utopien, nicht nur Dystopien, entworfen. Das sind Ideen, die über das normal Realisierbare hinausgehen: „Think outside of the box“. Wie können wir 30-50 Jahre in die Zukunft zu denken und uns Leben und Wohnen mit mehr Wasser vorstellen? Wie gehen Tiere, z.B. Biber, mit Wasser als Lebensraum um? Sehr berechtigt hat die Kunst einen Beitrag zu leisten unbekannte Zukunftslösungen zu entwerfen. So ist zu beobachten: „Stets ist aber – mit Verzögerungseffekten – das Einsickern zeichenhafter Korrespondenzen in andere soziale Systeme zu beobachten.“5

Das Stadtatelier hat seit September mittags von Dienstag bis Freitag offen. Es gibt eine Hemmschwelle für die Passant*innen in der Einkaufspassage, reinzukommen. Vor der Tür läuft im Fenster eine Animation der Überflutung der Nordseeküste. Die Oldenburger*innen bleiben aber stehen und schauen das an, berichtet Franz. Die Visualisierung hilft manchesmal eine Diskussion vor dem Monitor zu entfachen. Dann kommen die Stadtkünstler*innen auch schon mal raus und beteiligen sich an der Diskussion; auch, wenn jemand einfach länger stehen bleibt. Langfristig denkend aktivieren diese Gespräche die Bürger*innen Schritt für Schritt; manche Bürger*innen werden womöglich in Zukunft zu Distributor*innen (schließlich haben die Menschen Kinder und Enkelkinder) und ein Link zur Stadtverwaltung als Dialogpartner wäre ein großer Wunsch für einen Dialog, der auf die Sorgen, Ängste, aber auch Ideen der Menschen räsonieren kann.

 

Franz John ist nicht das erste Mal in Oldenburg und das hat ihn auch bewogen, diese Einladung anzunehmen. Durch einige Kooperationen und Ausstellungen mit dem Edith-Ruß-Haus für Medienkunst (u.a. Ausstellung Ecomedia, 2007/2008) war er bereits vertraut mit den örtlichen Gegebenheiten und hatte Querkontakte, wie etwa zum Botanischen Garten oder zum Stadtmuseum aufgebaut (Flutbilder im Blog aus dem Archiv).

Franz John wohnt nicht in Oldenburg, aber kooperiert eng mit fünf jungen Oldenburger*innen. Die sind ins Stadtatelier eingezogen. Die Zusammenarbeit hat sich als fruchtbar erwiesen. Wenn Franz da ist, wird interveniert, Konzepte und Ideen durchgesprochen, Erfahrungen reflektiert und auch zeitgenössische Positionen kennengelernt. Diese Woche sprachen sie u.a. über Joseph Beuys und was es bedeuten könnte, wenn er über die Soziale Plastik spricht und behauptet, jeder Mensch sei ein Künstler. In Folge planen die 5 eine künstlerische Idee als Aktion in den Schlosshöfen umzusetzen und später als „analogen Blog“ in einer geplanten Ausstellung zu zeigen. Kommende Woche wollen sie Gleichaltrige vor Ort befragen: Stellt euch vor, wenn nur zwei Stunden Zeit zur Vorbereitung auf eine Flut sind, das würdet ihr machen?

In der Zeit, wo Franz nicht vor Ort ist, tauschen sie sich aus und telefonieren sie regelmäßig. Sie arbeiten vor Ort alleine weiter und wachsen durch die Verantwortung, die Franz ihnen zutraut.

Er ist eben kein Lehrer, sondern ein Künstler – er läßt frei arbeiten und erwartet – als Zielsetzung dennoch ein authentisches bzw. überzeugendes Ergebnis. Aus seiner Sicht wird das mehr als erfüllt und die 5 Oldenburger*innen scheinen extrem an der Erfahrung zu reifen, sei es im Umsetzen ihrer künstlerischen Ideen im Atelier, in Gesprächen mit Politiker*innen, Presse, Bewohner*innen und auch mit der Erfahrung auf den Klimademonstrationen, denn damit begann das Projekt. „Mehr Selbstbestimmung soll ermöglicht werden und deshalb muss eine polyvalente Zielstruktur von vornherein geschaffen werden.“6, sagt Prof. Dr. Pierangelo Maset aus Lüneburg, wenn es um die Vermittlung dessen geht, was zeitgenössische Kunst heutzutage vermag.

Kommende Woche in der Ausstellung werden viele Besucher*innen erwartet: Kolleg*innen aus den Schulen, Freund*innen, Eltern und Lehrer*innen. In der Ausstellung sollen nicht nur vor Ort entstandenen Arbeiten präsentiert werden, sondern auch Querverbindungen hergestellt werden zu anderen künstlerischen Positionen, die sich mit der Klimaproblematik beschäftigen sowie die Zusatzforschung der Studierenden des Masterstudiengangs „PR Management“ in Hannover. Dort sind in Anwesenheit von Franz John für die Ausstellung vier plakatartige Wort- und Bildskizzen zum Thema „Schwimmende Häuser“ entstanden.

In Oldenburg haben sich über dieses Projekt aber auch Verbindungen mit Wissenschaftler*innen der Jade Hochschule7 ergeben. Für seine Lichtinstallationen und Interventionen im Oldenburger Stadtraum brauchte Franz exakte Messpunkte an 8-10 Architekturen vor Ort, die die Bedeutung von steigenden Wasserpegeln deutlich machen und visualisieren. Fotoaufnahmen tragen die Idee dann medial weiter. Denn, was das heißt, wird deutlich durch das Bild. So entstehen Dialoge, so bereits bei den Interventionen, mit den Wissenschaftler*innen und auch beiläufig mit zufälligen Passant*innen.

Wenn sich die eine oder andere Idee nach dem Ende der Residency weiterträgt, würde Franz John das sehr freuen. Manchmal passiert das ja als Resultat eines Kunstprojektes und man hört 1-2 Jahre später davon durch Feedback. Bedenklich findet Franz, in welchem Tempo sich manche vor geraumer Zeit noch dystopisch wirkende Vorhersage zu den Folgen des Klimawandels im Moment eher noch beschleunigt: Vor wenigen Monaten wurden wissenschaftliche Fakten medial kommuniziert, die als Vorhersagen bereits jetzt überholt und obsolet sind. (UN-Meldung, 22.09.2019, Heißeste 5-Jahresperiode – Meeresspiegel steigt schneller als erwartet.8 Das Kunstprojekt ist eingebettet in einen globalen Prozess und bietet an, anders über das Erleben nachzudenken. Kunst kann wohl die Welt nicht retten, meint Franz John, aber einen Teilbeitrag leisten, so als Ort für Empfindungen, Betroffenheit und auch Ängste. Als Ort wo ein Austausch, unter Jugendlichen stattfinden kann, wo auch der Antwort- und Ratlosigkeit von Behörden etwas entgegengestellt werden kann. Denn das Ungeplante und Unimaginierbare, auch wenn es angekündigt wird, überrascht den auf reibungslosen Alltagsablauf geeichte System. Das war auch 1962 schon so, wie man hier nachhören kann.9

 

0 https://www.labiennale.org/en/art/2019

1 https://venice.brooklynrail.org/?hp

2https://laurenbon.art/

https://www.metabolicstudio.org/bending-the-river

3 https://venice.brooklynrail.org/?hp

4 https://www.nwzonline.de/oldenburg/kultur/oldenburg-reihe-fuer-nachhaltigkeit-bevor-oldenburg-untergeht-tauchen-ideen-auf_a_50,5,3859528245.html

5 und 6 Prof. Dr. Pierangelo Maset in „Ästhetische Operationen und kunstpädagogische Mentalitäten“ , Hamburg University Press, 2005, http://hup.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2008/34/pdf/HamburgUP_KPP10_Maset.pdf

7 https://www.jade-hs.de/

8 https://www.zdf.de/nachrichten/heute/heisseste-periode-aller-zeiten-meeresspiegel-steigt-schneller-100.html

9 https://www.youtube.com/watch?v=dJeCSYyqcvE und https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/sturmflutneuenfelde127.html und

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Sturmflut-1962-Die-grosse-Rettungsaktion,schmidtsturmflut100.html

und

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/sturmflutwaltershof133.html und

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Per-Laster-und-Floss-zur-Familie-nach-Kirchdorf,erinnerungensturmflut103.html

und https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Wir-trauten-unseren-Augen-nicht,erinnerungensturmflut101.html